

Während eines Sommergewitters im Jahr 1990 erblickte ich das Licht der Welt. Schon an jenem Mittwoch, begleitet von Blitz und Donner, wurde mir in die Wiege gelegt, was mich bis heute prägt: Die Fähigkeit, Herausforderungen anzunehmen, im Unerwarteten Chancen zu entdecken, Stürme auszuhalten und gestärkt aus ihnen hervorzugehen.
Aufgewachsen im Zürcher Oberland zusammen mit meinen drei Geschwistern, war die Nähe zur Natur und zum Greifensee ein prägender Teil meines Lebens. Egal, ob Sommer oder Winter, bei Sonne oder Sturm. Herumtollen, fischen, spazieren, picknicken… Ich lernte früh, wie erfüllend das Einfache sein kann.
In meiner Kindheit spielte ich Geige, probierte Klettern und Reiten – bis ich zum Rudern fand. Dass dieses schmale, wackelige Boot einmal mein Sprungbrett in so viel mehr als schöne Ausfahrten auf dem See werden sollte, habe ich nie geahnt. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, sondern ein Prozess. Doch die Nähe zum Wasser schenkte mir Geduld und Durchhaltevermögen, aus denen schliesslich die Freude wuchs, mich selbst herauszufordern und stetig zu verbessern.
Die ersten Erfolge kamen nicht wegen aussergewöhnlichem Talent, sondern wegen meiner Beharrlichkeit. Ich hatte nie perfekte Voraussetzungen, aber die Entschlossenheit, sie selbst zu schaffen. Im Ruderclub Uster fand ich jene Realität, die auch mein Familienleben prägte: Wir hatten nicht viel, und nichts war selbstverständlich, doch es fehlte uns an nichts.
Mein Weg in den Profisport war alles andere als geradlinig – er war ein ständiges Aushandeln zwischen Möglichkeiten und Grenzen. Klar war: Ich brauchte eine berufliche Lösung, die sich mit meinem grossen Trainingspensum vereinbaren liess. Diese fand ich in einer kaufmännischen Berufslehre in der Kinderkrippe Zollikerberg, die mich unterstützte, die Doppelbelastung zu meistern.
Wie macht man diesen leap of faith, voll auf die Karte Profisport zu setzen? Und nicht nur das: In einer Randsportart ohne finanzielle Sicherheit, ohne internationale Erfolge als Rückhalt und ohne Vorbilder, die gezeigt haben, dass es möglich ist? Ich habe es so gelöst: Ich suchte nach kreativen Wegen, tauschte mich mit Menschen aus, bat um Unterstützung von jenen, auf deren Expertise ich mich verlassen konnte. Und vor allem: Ich habe auf mich selbst gesetzt. Voll und ganz. Ausnahmslos. Kompromisslos. Konsequent. Als erste Ruderin überhaupt bewarb ich mich für die Spitzensport-Rekrutenschule. Doch mein Weg dorthin war kein Selbstläufer. Mir wurde nicht zugetraut, dass ich das Potenzial habe, auf internationaler Bühne erfolgreich zu sein. Ich musste kämpfen – nicht nur auf dem Wasser, sondern auch dafür, überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Ich überzeugte mit Leistung, Durchhaltevermögen und meinem unerschütterlichen Willen, diesen Sport professionell betreiben zu wollen.
Ich wurde Vize-Europameisterin, Europameisterin, Vize-Weltmeisterin, Weltmeisterin, gewann den Gesamt-Weltcup und erreichte bei zwei Olympischen Spielen den 5. Rang. Eine olympische Medaille verpasste ich um 1,2 Sekunden – das sind ungefähr 15 cm. Doch meine Geschichte ist keine Aneinanderreihung von Erfolgen. Sie ist ein Testament der Werte, die mich dorthin geführt haben – und die mich auch dann getragen haben, wenn es schwer wurde.
Es gab Momente, in denen ich für mich einstehen musste, ohne dabei Unterstützung von aussen zu erhalten. Zum Beispiel, als ich im Übertraining war – das Schlimmste für eine Athletin. Der Körper brennt aus, doch der Kopf will weiter. Ich musste lernen, die Grenze zwischen Disziplin und Selbstzerstörung zu erkennen. Die härteste Lektion? Dass Regeneration keine Schwäche ist, sondern ein Zeichen echter Eigenverantwortung.
Es waren nicht die Medaillen, die mich geformt haben, sondern die Momente, in denen ich hätte aufgeben können – und es nicht tat. Die Entscheidungen, die unbequem waren, aber sich richtig anfühlten. Wie beispielsweise, als ich mich entschied, unabhängig vom Ruderverband zu agieren, weil ich meine Werte nicht mehr mit dessen Handlungen und Kultur vereinbaren konnte. Eine Entscheidung mit Konsequenzen – aber auch mit Klarheit.
Am 16. Dezember 2022 stellte der plötzliche Verlust meines Lebenspartners und Trainers Robin meine Welt auf den Kopf und entriss mir den Boden unter den Füssen komplett. Mein Alltag als Profisportlerin – eine gut geölte, effizient laufende Maschine – kam vollständig zum Stillstand. Es war, als hätte jemand den Stecker gezogen.
Ich versuchte, den Stecker wieder einzustecken, doch musste mir eingestehen, dass meine Maschine nicht einfach wieder anspringen würde. Der Rücktritt aus dem Spitzensport war der härteste Schritt meines Lebens, doch er gab mir die Möglichkeit, neu zu beginnen.
Für jemanden wie mich, die Stillstand kaum aushält, stellte sich bald die Frage: «Was nun?» Als pragmatische Macherin entschied ich mich, eine Ausbildung zum Integral Coach zu absolvieren. Das theoretische Handwerkszeug ergänzte meine praktischen Erfahrungen und gab mir die Möglichkeit, meine grössten Erfolge und schwersten Momente in eine neue Richtung zu lenken.
Die aktive Auseinandersetzung mit meinem Trauerprozess liess mich das Leben in seiner vollsten Tiefe erfahren. Dabei wurde mir klar, was ich im Einer bereits gelernt hatte:
In dieser Zeit bin ich mir näher gekommen, als es selbst meine sportlichen Erfolge je geschafft haben.
Im Zuge dessen erwachte auch meine Leidenschaft für den Sport wieder. Zehn Monate nach meinem Rücktritt entschied ich mich für ein Comeback. Die Zeit war knapp, die Trauer allgegenwärtig. Für die Olympischen Spiele in Paris konnte ich mich nicht qualifizieren. Doch mein grösster Gewinn lag auf der anderen Seite der Ziellinie: Ich fand Klarheit. Klarheit darüber, wie ich meine Leidenschaft und meine Erfahrungen in etwas Sinnstiftendes transformieren kann.
Dieses Verständnis bildet die Grundlage von Passion Meets Purpose. Hier bringe ich alles zusammen: meine Begeisterung für den Sport, die Lehren aus grossen Erfolgen und schmerzhaften Momenten, meine intensiven Erfahrungen mit dem Leben und meine innere Stärke. Mit diesem Fundament unterstütze ich andere dabei, ihre Herausforderungen zu meistern und ihren eigenen Weg zu finden.
Seit Mai 2019 bin ich Mitglied der Athlet:innenkommission von Swiss Olympic und seit 2022 deren Co-Präsidentin. Im November 2021 wurde ich zudem als eine von zwei Athlet:innen-Vertreterinnen in den Exekutivrat von Swiss Olympic gewählt.
In beiden Funktionen verfolge ich ein Ziel: das Empowerment der Athletinnen zu stärken und ihre Interessen, Bedürfnisse und Perspektiven konsequent in alle Entscheidungsprozesse einzubinden. Dadurch sollen Athlet:innen als selbstbestimmte Akteure und Akteurinnen im Schweizer Sport noch deutlicher in den Fokus aller Beteiligten rücken.
In beiden Gremien bringe ich meine Erfahrungen aus fast zwanzig Jahren Rudersport, darunter zehn Jahre auf professioneller Stufe ein, um den Schweizer Sport weiterzuentwickeln. Die Stimme der Athlet:innen ist das zentrale Gut von Swiss Olympic und aller Sportverbände.